Seit Mitte April ist mit „Tagebuch für Walter Fritzsch“ die Biographie von Dynamos erfolgreichstem Trainer aller Zeiten im Handel.
Wir haben Journalist und Autor Uwe Karte fünf Fragen zu seinem neuesten Werk gestellt, das er auf Grundlage von Walter Fritzschs Tagebüchern verfasste, die „der kleine General“ über 57 Jahre seines Lebens akribisch führte.
Uwe, du bist ein vielbeschäftigter Mann und hast in in deinem Leben schon einige Bücher veröffentlicht. Wo ordnest du das Projekt „Tagebuch für Walter Fritzsch“ in deiner bisherigen Laufbahn als Autor ein?
Aus heutiger Sicht ist es mit nichts anderem zu vergleichen. Das betrifft sowohl Art, Umfang als auch die Intensität, mit der man in dieses Projekt reingezogen wurde. Ich weiß gar nicht, ob man das am Anfang real einschätzen konnte, aber wenn man zehn Jahre lang um die Tagebücher herumschleicht, ist das ja schon mal eine Größenordnung. In dem Moment, in dem man sich dann allerdings dazu entschließt, geht das nur ganz oder gar nicht. Das ist zumindest mein Motto. Aber dieses ‚ganz‘ habe ich zumindest am Anfang ein bisschen unterschätzt. Es war ein ziemlich gewaltiger Ritt.
Du hattest das Glück, dass du dich noch persönlich mit ihm treffen und unterhalten konntest. Dementsprechend hattest du schon ein Bild vom Menschen Walter Fritzsch. Gibt es dennoch Seiten oder Charakterzüge, die dich bei ihm überrascht haben?
Sehr viele Dinge. Ich wusste nicht im Ansatz, was in seinem Leben wirklich alles passiert ist. Das weiß man mitunter nicht mal von Freunden oder Bekanntschaften. Ich verstehe es als Geschenk, dass ich auf diese Weise an seinem Leben teilhaben konnte, selbst wenn es nur posthum war. Ich glaube, dass das persönliche Kennenlernen eine wesentliche Säule war, dass das Buch jetzt überhaupt entstanden ist. Das war eine Grundvoraussetzung. Die nächste war, dass ich mich sehr gerne und sehr früh schon mit diesen historischen Dingen auseinandergesetzt habe. Das dritte war, dass ich dieses Geschenk der Tagebücher bekommen habe und das vierte, die grundsätzliche Bereitschaft sich mit meiner kleinen Brigade da heranzuwagen und eine Idee entwickelt zu haben, was man mit diesem Koffer voller Tagebücher machen kann. Ich bin froh und meine, dass uns das ganz gut gelungen ist. Weggegangen von der Anekdoten-Ebene, die es wohl an jedem Stammtisch über jeden Trainer zu erzählen gibt. Walter Fritzsch geht da schon deutlich darüber hinaus.
{media-left}Nimm uns mal mit in das vergangene Jahr. Wie bist du bei dem Projekt vorgegangen?
Gert Zimmermann und ich hatten in unsrem Dynamo-Buch 2013 schon drei verschiedene Kern-Zeiten angeschnitten – logischerweise vor allem die Dynamo-Zeit von 1969 bis 1973, die im Tagebuch für Walter Fritzsch gut die Hälfte des Inhalts einnimmt. Dazu hatte ich also schon sehr viel in den Tagebüchern gelesen. Zwar kam damals auch schon die Kriegszeit zur Sprache, aber ich hätte zunächst nicht geglaubt, dass es uns gelingt, seine Kriegstagebücher zu übersetzen. Die Tagebücher zu dieser Zeit wurden in Sütterlinschrift geschrieben, die nur bis Ende der 40er Jahre in deutschen Schulen gelehrt wurde. Mein Glück war, dass meine Mutter das in ihrer Schulzeit erlernt hat und freundlicherweise begann, die Tagebücher zu übersetzen. Dazu muss ich sagen, dass ich ihr sehr dankbar bin und auch froh, dass ich ihr zu Beginn den Umfang der Arbeit in einer etwas geschönten Fassung dargestellt habe. (lacht) Wir haben also die Kriegszeit als schwierigste Zeit zuerst in Angriff genommen und schon da war mir eigentlich klar, dass wir das bis zu Walters 100. Geburtstag im November nicht schaffen werden.
Walter Fritzsch hat von 1938 bis 1995 Tagebuch geführt. Was hat es mit dir gemacht, 57 Jahre aus dem Leben eines Menschen so eng getaktet nachzuvollziehen?
Es hilft dir bestimmte Dinge mit ein bisschen mehr Distanz zu sehen. Gerade auch die Corona-Zeit im vergangenen Jahr habe ich dadurch teilweise anders wahrgenommen. Auch wenn ich mich von früh bis spät mit Walter Fritzsch beschäftigt habe, schaltet man mit dem Computer natürlich nicht den Kopf aus. Und dann hört man Sätze wie ‚Wir haben das schlimmste Weihnachten seit 1945‘. Ohne Frage gibt es viele Menschen, denen wegen der Corona-Pandemie das Wasser ganz oben steht. Das darf man nicht vergessen. Aber wenn man gelesen hat, wie Walter zwei Weihnachten an der Ostfront erlebt hat und welche Lebensumstände in Deutschland auch in der Nachkriegszeit mit Hunger, Not und Kälte herrschten, ist das auf keine Weise zu vergleichen.
{media-right}480 Seiten spannende Lektüre - sicher nicht nur was für jeden Dynamo-Fan. Warum sollte man dieses Buch im Jahr 2021 lesen?
Weil es einen unwahrscheinlich guten Einblick in ein deutsches Jahrhundert gibt, das von all seinen Ausschlägen nach oben und unten sehr abenteuerlich war. Und wenn man ein Gefühl dafür hat, wo wir herkommen und aus welchen Generationen wir stammen, liefert das Buch wie ich finde einen sehr interessanten Querschnitt. Auch bei vielen aktuellen Entwicklungen lohnt es sich, mal einen Blick zurückzuwerfen, weil man schon das Gefühl hat, dass es uns in gewisser Weise zu gut geht und wir vergessen haben, dass die Leute in den letzten hundert Jahren verdammt schwere Zeiten hatten. Es ist nicht alles selbstverständlich, was wir heute geboten bekommen und teilweise einfordern. Vielleicht macht das Buch auch gerade aus, dass Walters Leben so jedem hätte passieren können. Es deutete anfangs zunächst nichts darauf hin, dass von diesem kleinen Mann aus Planitz irgendwo etwas bleibt, das über dem Durchschnitt ist. Es wäre ein ganz normales Leben gewesen, schaut man sich die frühen Eckdaten an. Was er aber, vor allem mit der Zeit in Dresden und mit seinen Tagebüchern hinterlassen hat, ist ein großartiger Schatz und den sollte man auch entsprechend behandeln.
Interview: Henry Buschmann & Marcel Devantier
In Erinnerung an Dynamos erfolgreichsten Übungsleiter verlosen wir nun drei der lesenswerten Exemplare.
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