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07. November 2023 // 12.00 Uhr

„Hatten gute Möglichkeiten, die Bayern zu schlagen“

V.l.n.r.: Claus Boden, Wolfgang Lischke und Hans-Jürgen Kreische gemeinsam mit der Mannschaftsärztin Gisela Passehr (ehemals Israel) 1973 in Liverpool | Foto: Archiv Dresdner Fußballmuseum

Dynamos frühere Mannschaftsärztin Dr. Gisela Passehr (ehemals Israel) im Interview


Von 1962 bis 1973 war sie die Mannschaftsärztin der Sportgemeinschaft. Am 7. November 1973 wurde sie in der Halbzeit des legendären Bayern-Spiels auf dem Rasen verabschiedet. Im Interview mit dem Dresdner Fußballmuseum berichtet sie über ihre eigenen Erfahrungen rund um Dynamos Anfangszeit im Europapokal.

In den bisher erschienenen Büchern über die SG Dynamo Dresden wird immer über die Geschichte rund um Ihr grünes Kleid bei den beiden Spielen gegen die Glasgow Rangers berichtet. Könnten Sie noch einmal aus heutiger Sicht Ihre Erinnerungen schildern?

„Diese verrückte Sache ging schon zum Hinspiel 1967 in Dresden los. Schon damals ist ein älterer Herr aus der Begleitung der Glasgower auf mich zugekommen und fragte mich, ob ich auch zum Rückspiel mein grünes Kostüm, das auch noch einen weißen Kragen hatte, tragen würde. Ich habe damals gedacht, was der für doofe Fragen stellt und dass er bestimmt nicht weiß, wie es in der DDR läuft. Denn damals konnte man erst im Transit-Raum sagen, ob man mitfliegen durfte oder doch noch von der Reiseliste gestrichen wurde.

Auch auf dem Flug trug ich dieses Kleid. Alle Journalisten und Fotografen wollten wissen, ob ich es auch zum Spiel tragen würde. Aber so richtig los ging es erst nach unserer Landung in Schottland. Bei der Ankunft an unserem Hotel unternahmen Polizisten den Versuch, mir klarzumachen, dass ich dieses Kleid nicht beim Spiel tragen dürfe. Ich wollte mich darauf nicht einlassen. Ich hatte nichts Entsprechendes zum Wechseln dabei und zum anderen war dieses Kleid so etwas wie mein Glücksbringer. Darauf erklärte man mir, dass am nächsten Tag ein Artikel in der Zeitung erscheinen würde, in dem den Zuschauern erklärt werden sollte, dass Grün in Deutschland die Farbe der Hoffnung sei und kein Affront gegen die Rangers. Erst jetzt begriff ich, dass sich die Farbe meines Kleides auf die Rivalität zwischen den Rangers- und Celtic-Fans bezog. Grün-Weiß sind die Celtic-Farben. Ich war an diesen Tagen in Glasgow der Star unseres Teams. Ich wurde in jedem Laden und der ganzen Stadt herzlich empfangen und erhielt sehr oft Sonderangebote.

Aber im Stadion sollte es sich dann erst einmal ändern. Als ich dieses enge, alte, typisch britische Stadion mit meinem grünen Kostüm betrat, war die Hölle los. Was da alles angeflogen kam, ist unbeschreiblich. Unser Sektionsleiter Erich Jahnsmüller reichte mir dann aber einen blauen Regenmantel, den ich mir überzog. Daraufhin kippte die Stimmung so, dass jetzt sogar Blumen angeflogen kamen. Die Zuschauer fanden das Blau der Rangers einfach besser. Nie wieder habe ich solch verrückte Fans erlebt. Dabei haben wir in Dresden auch schon immer Fanatiker gehabt. Die sind einmal sogar zu einem Auswärtsspiel nach Magdeburg eher angereist und haben die Torpfosten schwarz-gelb angestrichen. Aber in Schottland ist die Rivalität zwischen den beiden Glasgower Mannschaften viel enthusiastischer und bei manchen sogar durch Hass geprägt.“

Haben Sie nach diesen Erlebnissen das grüne Kostüm noch weitergetragen?

„Natürlich. Dies aber nur bis zu unserem ersten Spiel in Liverpool 1973. Schon zum Hinspiel gegen Leeds haben sich die englischen Medien an die alte Geschichte erinnert. Und ich musste mich wieder äußern. Zusätzlich war es noch sehr ungewöhnlich, dass eine Frau als Ärztin bei einer Fußball-Mannschaft aktiv war. Ich wurde dort sogar von einem Damen-Club von reichen Engländerinnen eingeladen und sollte Fragen beantworten. So zum Beispiel ob ich auch in der Kabine wäre, wenn die Fußballer duschen würden. Ich glaube, die hätten nicht anders geschaut, wenn ein Dinosaurier den Raum betreten hätte und als ich dann ganz normal, wie ein Mensch aussah, waren die schon sehr verwundert. In Liverpool ging alles noch einmal los und da habe ich mir gesagt, dass es jetzt reicht. Seitdem habe ich das Kleid nicht mehr getragen. Bis Sie mich vom Dresdner-Fußball-Museum anriefen und fragten, ob ich es noch hätte. Und da ich mich nur schwer von alten Sachen trennen kann, hatte ich es noch. Heute befindet es sich im Archiv des Dresdner Fußballmuseums.“

Nach Leeds hat Dynamo in der darauffolgenden Saison gegen Ajax Amsterdam gespielt, den wohl stärksten Gegner in ihrer Cup-Geschichte. Wie haben Sie diese Begegnungen in Erinnerung?

„Auch in Amsterdam war ich als Ärztin einer Fußball-Mannschaft Thema der holländischen Zeitungen. Noch heute lese ich diese Berichte sehr gern und komme immer noch ins Lachen.

Aber auch Walter Fritzsch ist den Holländern in Erinnerung geblieben. Er hat damals erstmals ein Spiel in ein Diktiergerät live eingesprochen. Später hat er mir diesen Mitschnitt einmal vorgespielt, aber ich glaube, davon konnte er nichts verwenden. Denn er stotterte immer so etwas wie: „O … O … O … Cruyff, schon wieder Cruyff“. Die Amsterdamer waren uns sehr überlegen, aber auch zum Rückspiel waren sie eine sehr sympathische Mannschaft.

Zusätzlich ist mir von diesen Begegnungen noch in Erinnerung geblieben, dass Eduard Geyer damals nach dem Spiel in Amsterdam mit dem deutschen Spieler von Ajax, Horst Blankenburg, ein Bier trinken ging. Diese Kleinigkeit hat „Ede“ danach durch die Leitung und die Stasi bestimmt viel Ärger gebracht. Dies ist heute zum Glück nicht mehr vorstellbar.“

Bei diesem Spiel sind Hans-Jürgen „Dixie“ Dörner und sein Torhüter Manfred Kallenbach zusammengestoßen. „Kalle“ musste zur Halbzeit verletzt ausgewechselt werden. Haben Sie als Ärztin viele schwere Verletzungen der Dynamos behandeln müssen?

„Ich denke, im Europa-Pokal war dies schon eine der schwersten. „Kalle“ konnte aber schnell wieder spielen. Er hatte sich nur ein dickes, blaues Auge zugezogen.

Die schwerste Verletzung, welche ich je beim Fußball behandeln musste, war ein Oberarm-Durchbruch. Dies aber nicht bei einem Spieler, sondern einem Zuschauer. Und zwar am letzten Spieltag der Oberliga-Saison 1964/65 gegen Post Neubrandenburg. Dynamo musste dort unbedingt gewinnen, denn der Verlierer stieg aus der Oberliga ab. Das Stadion war ausverkauft und die Zuschauer sind voll mitgegangen. Und beim 5:3 Siegtreffer war ein Zuschauer so angespannt, dass er den Treffer von Siggi Gumz mitschoss und dabei seinem Vordermann den Arm durchtrat.“ 

Können Sie noch von anderen Erlebnissen aus den Anfangsjahren im Europapokal berichten?

„Es waren immer schöne Fahrten. So auch in Porto. Damals war die Ausrüstung der Mannschaft noch recht einfach. Zum Training wurden alte Sachen getragen. Nach dem Training in Porto haben wir die Sachen auf dem Sportplatz gelassen, da wir am nächsten Tag noch einmal trainieren wollten. Als wir dann am nächsten Morgen wieder kamen, waren die Sachen weg. Walter Fritzsch sagte gleich: ‚Typisch Kapitalismus, so ist es eben in dieser Gesellschaft…‘. Nach einer Weile haben wir eine Wäschekiste gefunden und in der lagen unsere Sachen. Diese waren aber nicht nur gewaschen, sondern auch noch geflickt und gestopft. Aber das war dann der Parteileitung im Verein doch zu peinlich. Danach haben wir auch zum Training ordentliche Sachen bekommen.

In Porto wurde Frank Richter mit Geschenken überschüttet. Die Portugiesen gingen davon aus, dass sie gegen uns klar gewinnen würden. Als dann Frank in der ersten Halbzeit das 1:0 für uns erzielte, klopfte es in der Pause an unserer Kabinentür und er erhielt von Sponsoren gestiftete Geschenke. Darunter einen roten Kordanzug, der ihm passte. Zum Glück hatte nicht Klaus Sammer das Tor geschossen, denn der hätte den Anzug nur weiter verschenken können. Am Ende haben wir noch mit 2:1 gewonnen und die Portugiesen waren sehr traurig.“

Ihr letztes Spiel als Mannschaftsärztin haben Sie in Turin erlebt. Warum haben Sie Ihren Posten aufgegeben?

„Dynamo hat sich damals entschieden, dass der Posten des Mannschaftsarztes hauptamtlich besetzt werden sollte. Ich wollte meine Oberarztstelle in Kreischa aber nicht aufgeben. Zusätzlich hätte ich auch noch dienstlich der Polizei beitreten müssen und so löste mich Dr. Wolfgang Klein bei Dynamo ab. Aber das Spiel in Turin war noch einmal ein richtiger Abschluss. Wir hatten das Hinspiel 2:0 gewonnen. Bei Juve war es eine sehr spannende Partie. Die Turiner machten am Anfang viel Druck und zur Halbzeit stand es 3:1 für die Italiener. Wir haben auf der Bank alle gezittert und zum Glück gelang Rainer Sachse noch der Anschluss zum 2:3. Zum Schlusspfiff hat mich der ausgewechselte Siegmar Wätzlich vor Glück umarmt und mir dabei meinen roten Hosenanzug so verschmutzt, dass ich ihn auch nicht mehr tragen konnte.“

Wann wurden Sie verabschiedet?

„Dies war in der Halbzeit zum Rückspiel gegen die Bayern. Ich fand dieses Spiel für meine Verabschiedung sehr unpassend, denn es ging an diesem Tag schon eher unter. Wir hatten aber bei diesen beiden Spielen wirklich eine richtig gute Möglichkeit, die Bayern zu schlagen. Damals gab es einen Witz, der in Dresden kursierte, der ging ungefähr so: ‚Werden wir das Stadion gegen die Bayern voll bekommen – mit SICHERHEIT!‘

Die Sicherheit hat das Stadion damals mit mehreren Ringen abgesperrt und als ich nach dem Spiel zu meinem Auto wollte, wurde ich von zwei Polizisten gegriffen. Die legten mir meine Hände auf den Rücken, dabei fiel mir gleich mein Blumenstrauß runter, den ich zur Verabschiedung erhalten hatte und wollten mich tatsächlich verhaften. Erst nachdem ich diesen beiden Herren erklärte, wer ich bin und warum mein Auto in der Sicherheitszone stand, durfte ich nach Hause fahren.“

 

Dieses Interview erschien 2011 im Buch „Mit Dynamo durch Europa“ von Jens Genschmar. Weitere Zeitzeugenberichte zur Partie gegen den FC Bayern München gibt´s im MDR-Podcast „Europapokal 1973: Dresden – Bayern“.


 

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