Fans
04. März 2020 // 18.28 Uhr

„Ich würde mir mehr Fingerspitzengefühl wünschen.“

Interview mit Prof. Dr. Thomas Feltes zu den aktuellen Fanprotesten


Der deutsche Fußball befindet sich nach einer bundesweiten und ligaübergreifenden Protestwelle der aktiven Fanszenen wieder einmal in einer fanpolitischen Krise.Verbände, Vereine und deren Anhänger stehen sich in unterschiedlichen Konstellationen einmal mehr in verhärteten Fronten gegenüber. Die Medienöffentlichkeit begegnet den Protesten in weiten Teilen zunächst mit Empörung, Fassungslosigkeit und wenig differenzierter Berichterstattung.

Im Interview reflektiert und ordnet der Experte Prof. Dr. Thomas Feltes ein, was rund um die Fandebatte in Deutschland jüngst wieder neu losgetreten wurde.

Thomas Feltes ist Professor an der juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum und deutscher Vertreter in der Anti-Folter-Kommission des Europarates in Straßburg. Der 69-jährige Mainzer arbeitet zudem als Strafverteidiger und vertritt mehrere Beschuldigte Anhänger von Borussia Dortmund in den Beleidigungsverfahren gegen Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp.

Wir sprachen mit Prof. Dr. Thomas Feltes über die neuerlichen Protestaktionen in Deutschlands Fußballstadien, über teils überforderte Medien und populistische Forderungen von Fußballfunktionären. Wir wollten wissen, was Jugendkultur im Jahr 2020 noch darf und wie eine Lösung im aktuellen Konflikt zwischen allen Beteiligten aussehen könnte.

Herr Professor Feltes, wir erleben seit dem Wochenende wieder einmal eine bundesweite Protestwelle der Ultraszenen in den Fußballstadien unseres Landes. Wie beurteilen Sie das, was wir am Wochenende erlebt haben?

Im Moment eskaliert die Situation. Es gab in den vergangenen Jahren und Wochen viele Fälle von Rassismus, Hetze und Beleidigungen in deutschen Stadien, die es wirklich wert gewesen wären, sie zu skandalisieren. Die aktuelle Eskalation und Aufregung ist für mich, aber auch für viele Fans nicht nachvollziehbar. Sie ist der Tatsache geschuldet, dass Herr Hopp gemeinsam mit DFL und DFB für eine Kommerzialisierung des Fußballs steht. Daher gehen die Äußerungen von Karl-Heinz Rummenigge und anderen, darunter fast alle Sportjournalisten, bei Dietmar Hopp handele es sich um eine „soziale und karitative“ Person mit hoher „Sozialkompetenz“, vollkommen an der Sache vorbei. Darum geht es nicht. Die – unzweifelhaft in der Form mancher Plakate überzogene – Kritik der Fans richtet sich symbolisch gegen Herrn Hopp als Repräsentanten dieses Systems, und nicht gegen ihn als Person.

{media-left}Ausgelöst wurde der Protest durch eine Kollektivstrafe für die Fans von Borussia Dortmund. Die Ultraszenen werfen dem Deutschen Fußball-Bund in der Sache Wortbruch vor. War diese Strafe des DFB deshalb ein Fehler?

Diese Maßnahmen waren nicht nur ein Fehler, sondern meiner Meinung nach auch höchst fragwürdig. Kollektivstrafen sind rechtlich unzulässig. Sanktionen des DFB sind zwar formell keine „Strafen“ im Sinne des Strafgesetzbuches, haben aber vergleichbare individuelle Auswirkungen. Da sie sich gegen ganze Gruppen von Fans richten, sind sie nicht nur moralisch zweifelhaft, sondern führen zudem dazu, dass sich die, die davon direkt oder indirekt betroffen sind, solidarisieren – gleich, ob sie nicht oder nur am Rande beteiligt waren. Dadurch verhärten sich die Fronten immer mehr. Der DFB macht hier einen sehr hilflosen Eindruck: Man hat das Gefühl, er weiß nicht, wie es weitergehen soll.

Dietmar Hopp steht sichtlich betroffen als Symbolfigur mit seinem Namen und seinem Gesicht im Mittelpunkt der Kritik und muss teils üble Beleidigungen über sich ergehen lassen. Was würden Sie Herrn Hopp als Jurist im Umgang mit der gegenwärtigen Situation raten?

Diese Beleidigungen sind nicht neu. Bis 2018 hat Herr Hopp keine Strafanzeige erstattet bei Schmähgesängen gegen ihn. Erst nach dem Spiel des BVB im Mai 2018 in Sinsheim wurden Strafverfahren eingeleitet, und zwar gegen mehrere Dutzend BVB-Fans. Teilweise wurden sie auch verurteilt, obwohl der individuelle Tatnachweis unserer Auffassung nach nicht geführt wurde, weil mehrere tausend Fans gemeinsam gesungen haben und das Verfahren zudem andere Rechtsfehler aufwies. Daher sind wir auch in Berufung gegangen. Herr Hopp hätte zumindest vor Gericht erklären können, warum er seine Meinung geändert hat und die Sprechgesänge gegen ihn nun als Beleidigung empfindet. Dabei nehme ich die Banner mit dem „Fadenkreuz“ ausdrücklich aus. Die sind geschmacklos und dafür habe ich kein Verständnis.

Heribert Bruchhagen meinte am vergangenen Wochenende beim Sport1-Doppelpass, dass die Ultras eine gewisse Vereinsamung im privaten Leben erfahren würden. Er sagt: „Da bildet sich ein Korpsgeist, der mit Feindbildern gestärkt wird. Und das ist das Hauptproblem. Es ist ein soziologisches Problem.“ Teilen Sie diese Einschätzung?

Nun ja, wir wissen inzwischen ein wenig mehr über Ultra-Gruppierungen als noch vor einigen Jahren. Dennoch scheue ich mich, hier zu verallgemeinern. Wer wöchentlich zum Kegeln geht oder sich mit Kollegen im Kaninchenzüchterverein trifft, ist sicherlich nicht vereinsamt. Und die Verbindungen zwischen Mitgliedern in Fangruppen sind oftmals intensiver als in den genannten Gruppen. Auch den Begriff „Korpsgeist“ mag ich in diesem Zusammenhang nicht. Den nutzen wir, wenn wir über die Reaktion von Polizeibeamten auf exzessive Gewalt sprechen. Ultra-Gruppen sind keine Polizeihundertschaften.

{media-right}Der Sport im Allgemeinen und der Fußball im Speziellen will Menschen über Grenzen hinaus verbinden. Unser Land wirkt hingegen gespalten wie nie. Inwieweit ist das, was wir derzeit im Mikrokosmos Fußball erleben auch ein Abbild dessen, was gerade vor unserer Haustür passiert?

Ich würde soweit nicht gehen wollen. Im Vergleich zu den politischen und sozialen Verwerfungen in unserer Gesellschaft sind das im Bereich des Mikrokosmos Fußball doch eher „Peanuts“, wenn mir dieser Ausdruck erlaubt ist. Genauso, wie es fehlgeht, die Beleidigungen von Herrn Hopp mit rassistischen Beleidigungen gleichzusetzen, geht es fehl, den Fußball auf diese Stufe zu heben.

Sie sind Experte für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug. Wir haben es bei den Ultraszenen mit der größten und lebendigsten Jugendkultur unseres Landes zu tun. Wie zeigt man am wirkungsvollsten in einem Rechtsstaat Grenzen auf, wenn diese überschritten werden?

Als erstes: Grenzüberschreitungen jeglicher Art sind notwendig für individuelle, aber auch gesellschaftliche Entwicklungen. Ohne sie gäbe es keinen Fortschritt. Die Frage ist, wie man mit solchen Grenzüberschreitungen umgeht. Und hier sehe ich leider eine Entwicklung zum Schlechten hin: Man glaubt zunehmend, mit Repression und Sanktion Probleme lösen zu können. Eigentlich sollten wir als demokratisch entwickelte Gesellschaft gelernt haben, dass dies nicht funktioniert und die Dinge nur noch schlimmer macht – sowohl in Bezug auf eine individuelle Person als auch in Bezug auf ganze Gruppen in unserer Gesellschaft.

Die Medien reagieren in diesen Tagen zum Teil unglaublich hysterisch, wenn es um die Diskussion rund um den fanpolitischen Konflikt im Fußball geht. Sie haben die 68er Generation miterlebt. Was muss Jugendkultur auch im Jahr 2020 in unserem Land dürfen, wenn man es differenziert betrachtet?

Der wesentliche Unterschied ist wohl, dass die individuellen wie gesellschaftlichen Perspektiven für junge Menschen heute deutlich schlechter sind als in den 1970er Jahren. Die Reaktion der Medien muss man vor dem Hintergrund allgemeiner gesellschaftlicher Verwerfungen sehen. Die Redakteure und Journalisten stehen unter einem unglaublichen Druck und zwar sowohl ökonomisch als auch politisch. Zudem ist die Konkurrenz in diesem Bereich extrem: Es gewinnt der, der am schnellsten die stärksten Schlagzeilen produziert. Vernünftiger –  im Sinne von rational-nachdenkender – Journalismus wird leider immer seltener.

Der Umgangston im Fußball war immer schon von Rivalität und Wettkampf geprägt. Es geht schon mal rau im Stadion – auf und neben dem Platz – zu. Hat das kollektive Luft ablassen als gesellschaftliches Ventil nicht auch eine wichtige Funktion für uns Menschen?

Einer solchen „Katharsis-These“ kann man durchaus etwas abgewinnen, allerdings darf auch das Stadion nicht zum rechtsfreien Raum werden. Hier müssen für alle Beteiligten, wie Zuschauer, Vereine und DFB, die allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze gelten, die ich zuvor genannt habe. Dazu gehört neben der Achtung der Gesetze auch der Grundsatz: Keine Strafe ohne individuellen Schuldnachweis.

{media-left}„Hat der Dietmar genug Kohle, wird zu seinem Schutz und Wohle von Leuten deren Wort nichts wert, mal wieder jemand ausgesperrt.“ – Ein solches Spruchband führte bei einer Drittliga-Partie in Meppen nach dem 3-Stufen-Plan des DFB zu einer Spielunterbrechung. Muss eine solche Kritik nicht von der Meinungsfreiheit in unserem Land gedeckt sein?

Die Aussage ist von der Meinungsfreiheit sicherlich gedeckt, nur ist die „Rechtsprechung“ des DFB als sogenannte „Vereinsgerichtsbarkeit“ nicht oder nur sehr bedingt an straf- und verfassungsrechtliche Grundprinzipien gebunden. Der DFB kann quasi definieren, was in den Stadien geschehen darf und was nicht. Ich würde mir hier zumindest etwas mehr Fingerspitzengefühl auch und gerade von den Juristen wünschen, die beim DFB tätig sind.

Bei der aktuellen Frage der Woche im Kicker-Sportmagazin fordern über 75 % der mehr als 100.000 Teilnehmer der Onlineumfrage, dass Täter bei Vergehen individuell bestraft werden sollen. Nur etwa je 10 Prozent sind für die Bestrafung der Vereine bzw. für Kollektivstrafen der Fans. Welche Maßnahmen würden Sie daraus ableiten, wenn Sie als Verantwortlicher beim DFB-Sportgericht tätig wären?

Die 75 % haben offensichtlich ein besseres Rechtsempfinden als der DFB, denn das allgemeine Rechtsprinzip, wonach jeder nur für das verantwortlich gemacht werden darf, was er selbst auch getan oder zu verantworten hat, muss auch im Sport gelten. Die DFB-Sportgerichtsbarkeit darf hier nicht zu einer Sondergerichtsbarkeit werden, die allgemeine Rechtsprinzipien missachtet.

Karl-Heinz Rummenigge will als Vorstandsvorsitzender des FC Bayern München handeln, „mit aller Schärfe gegen die Verantwortlichen“ vorgehen und den entsprechenden Fangruppierungen, die sich am Samstag an den Protesten im Bayern-Block beim Spiel in Hoffenheim beteiligt haben, in Zukunft den Stadion-Zutritt verwehren. Was halten Sie von solchen Forderungen?

Jeder konnte sehen, wie emotionalisiert er am Samstag war. Ich hoffe, dass er jetzt einen Ausweg aus der Situation findet, in die er sich selbst unnötig gebracht hat. Ich halte Herrn Rummenigge trotz alledem für einen intelligenten Menschen, und er sollte sehr schnell realisieren, dass er sich hier in eine Sackgasse manövriert hat.

{media-right}Der fanpolitische Konflikt zwischen Verbänden, Vereinen und deren Fans existiert bereits seit mehr als zehn Jahren. Die Eskalationsspirale hat wieder neuen Schwung aufgenommen. Wie könnte eine Lösung aussehen, damit sich alle Seiten wieder aufeinander zu bewegen?

Letztlich hilft in Konfliktsituationen nur Kommunikation. Mit Strafen und Sanktionen werden keine Konflikte beseitigt, im Gegenteil: Sie führen zur Eskalation. Allerdings ist der DFB aufgrund seiner Struktur kaum in der Lage, auf Augenhöhe mit den Fans zu kommunizieren. Genau dies wäre aber notwendig. In anderen Bereichen schaltet man in solchen Fällen einen unabhängigen Mediator ein. Vielleicht wäre das eine Lösung.

Das Thema wird die Verbände, die Vereine und deren Fanszenen sicher auch in den kommenden Jahren beschäftigen. Herr Prof. Dr. Feltes, vielen Dank für das Gespräch und Ihre interessanten Einschätzungen zur aktuellen Lage des deutschen Fußballs.

Interview: Henry Buschmann

Dies ist eine migrierte News einer früheren Website-Version der SG Dynamo Dresden. Wir bitten um Verständnis, dass es aus technischen Gründen möglicherweise zu Fehlern in der Darstellung kommen kann bzw. einzelne Links nicht funktionieren.


 

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