Die Geschichte der SG Dynamo Dresden ist untrennbar mit der Spielstätte am Großen Garten verbunden. 1957, vier Jahre nach seiner Gründung, zog Dynamo ins Rudolf-Harbig-Stadion an der Lennéstraße ein. Die nach dem Dresdner Weltklasseläufer benannte Leichtathletik-Arena war aus der im Krieg zerstörten Ilgen-Kampfbahn entstanden, wo sich schon 1923 beim Länderspiel gegen Finnland (1:2) 25.000 Zuschauer eingefunden hatten.
Als „Dynamo-Stadion“ zählte das Oval auf den Güntzwiesen von 1970 bis zur Auflösung der DDR-Oberliga zu den großen Adressen im europäischen Vereinsfußball. Unter dem Flutlicht der legendären „Giraffen“ sahen bis zu 37.000 (offizielle) Zuschauer unvergessene Europapokal-Spiele der Schwarz-Gelben gegen Topclubs wie den FC Liverpool, Ajax Amsterdam und Bayern München. Das Stadion, das so zentrumsnah liegt wie kaum ein anderes in Deutschland, erlebte ein EC-Halbfinale und sieben Viertelfinalspiele, deren letztes gegen Roter Stern Belgrad am 20. März 1991 nach dem Abbruch aufgrund schwerer Krawalle zu den dunkelsten Kapiteln der Dresdner Sportgeschichte zählt.
Nach vier Bundesligaspielzeiten markierte der Lizenzentzug 1995 für Dynamo den Beginn einer langen sportlichen und wirtschaftlichen Talfahrt, die sich auch im fortschreitenden Verfall des Stadions widerspiegelte. Die Kultstätte Harbig-Stadion siechte vor sich hin, während die SGD sich auf einer Odyssee durch die Amateurligen befand. Bald nach der Flut 2002, bei der das angestiegene Grundwasser sich in der alten Betonschüssel einen halben Meter hoch staute, begann in Dresden die Diskussion über den fälligen Neubau. Vor allem um das Wo entbrannte eine leidenschaftliche Kontroverse. Viele Stimmen gegen den Standort am Großen Garten wurden laut. Doch die Tradition setzte sich durch. Auch dank des unermüdlichen Engagements unserer Fans steht das 2009 eingeweihte Fußballstadion der SG Dynamo Dresden auf dem Boden des alten Harbig-Ovals.
Seit 2010 wird der 32.066 Zuschauer fassende, voll überdachte reine Fußballtempel mit seinen steil aufragenden schwarz-gelben Tribünenwänden bei jedem Heimspiel zum Hexenkessel. Der K-Block in der neuen Badkurve ist das akustische und optische Herzstück der Fanunterstützung. Das gegenseitige Geben und Nehmen zwischen Fans und Mannschaft als wichtiger Bestandteil des Erfolgs spielt sich vor allem im Stadion ab. Deshalb war und bleibt die Lennéstraße 12 das Zentrum schwarz-gelber Leidenschaft.
Sportliche Ertüchtigung wurde hierzulande erst im 19. Jahrhundert zu einem Massenphänomen. Mit der Industrialisierung entstand in den rasant wachsenden Städten das Bedürfnis nach einem Ausgleich zum Arbeitsalltag. Wie Freizeit eine prinzipiell städtische Errungenschaft ist, so ist Sport als Freizeitbeschäftigung breiter Bevölkerungsschichten eine Erscheinung der modernen Großstadt.
Ein wohlhabender Bürger half dem Dresdner Sport auf die Beine: Justus Friedrich Güntz, Anwalt und Verleger, hatte die Rechte am profitablen „Dresdner Anzeiger“ inne. Diese übertrug er 1856 einer Stiftung, mit dem Auftrag, aus den Einkünften neben karitativen Einrichtungen auch die „Verschönerung der Stadt“ zu finanzieren. Daran erinnerte sich vierzig Jahre später der Verwalter der Güntzschen Stiftung, Dresdens Oberbürgermeister Otto Beutler. Für 462.000 Mark aus dem Stiftungsvermögen kaufte er 1896 die sieben Hektar große Grünfläche zwischen Lennéstraße und Bürgerwiese ihren Besitzern ab, weil auf dem Gelände zwischen windschiefen Geräteschuppen vor allem Müllplätze wucherten.
Güntz‘ Anliegen, das Gemeinwohl und die Schönheit Dresdens zu fördern, wurde auf den fortan nach ihm benannten Wiesen durch Spielplätze, Tennisanlagen und eine Radfahrbahn verwirklicht. Als die Stiftung die Flächen der Stadt 1903 übertrug, knüpfte sie daran die Bedingung, sie „für alle Zeiten für Erholung in freier Luft, für Sport und Spiel zur Verfügung zu stellen“.
Um 1900 fanden sich an der Lennéstraße die ersten organisierten Fußballer ein. So wechselte der Dresdner Sportclub schon bald nach seiner Gründung 1898 aus Platzsorgen vorübergehend vom Ostragehege auf die Güntzwiesen. Und 1910 rief der bereits dort ansässige Verein „Dresdensia“ eine Fußballabteilung ins Leben, bei der die große Laufbahn eines gewissen Helmut Schön begann.
Während des Ersten Weltkriegs war der Sport in den Hintergrund getreten. Danach setzte sich abermals ein Mäzen für den weiteren Ausbau der Sportanlagen auf den Güntzwiesen ein. Der Geheime Hofrat Ilgen stellte aus seinem Stiftungsvermögen 500.000 Mark für den Bau eines Stadions zur Verfügung. Der Millionär, der sich auch für soziale, künstlerische und wissenschaftliche Belange engagierte, wurde im Volksmund „Mäusetod“ genannt – er war durch den Verkauf von Rattengift zu Geld gekommen.
Die Bezeichnung „Kampfbahn“, in der sich die zeitgeisttypische „Deutschtümelei“ widerspiegelte, war in diesen Tagen geläufig. Die Dresdner Kampfbahn, seit 1937 nach dem Stifter Ilgen benannt, bot 24.000 fast ausschließlich stehenden Zuschauern Platz. Beim Eröffnungsländerspiel gegen Finnland 1923 waren die Ränge ausverkauft. Im Aufgebot der Deutschen stand mit Rudi Leip auch ein Dresdner aus den Reihen der Johannstädter Guts-Muts-Kicker. 1926 wurde das heute noch existierende, an die Kampfbahn angrenzende Georg-Arnhold-Bad fertiggestellt. Benannt ist es – nach seinem Stifter. Der Bankier stemmte den Großteil der Baukosten von 400.000 Mark.
Auf der Laufbahn schlug am 24. Mai 1941 die große Stunde von Rudolf Harbig. Der im Dresdner Stadtteil Trachau geborene Jahrhundert-Läufer verbesserte seinen eigenen Weltrekord über 1000 Meter. Harbig hielt gleichzeitig auch die Weltrekorde über 400 Meter und 800 Meter, was nach ihm keinem Läufer mehr gelang. Der Namenspatron der späteren Dynamo-Spielstätte fiel 30-jährig an der Ostfront.
Nach dem Krieg kam aus der sowjetischen Kommandantur die Weisung, Dresdens wichtigste Sportanlagen schnell wieder instandzusetzen. Ab März 1948 fuhren die Trümmerbahnen über 100.000 Kubikmeter Schutt zur alten Ilgen-Kampfbahn. Aus Trümmern wurden Traversen – unter denen beim Abriss sechzig Jahre später zehn Brandbomben gefunden werden sollten. Als komplette Leichtathletik-Arena, die über mehrere Sprunggruben, zwei Kugelstoßplätze und einen Wassergraben für die Hindernisbahn verfügte, wurde das Oval am 18. September 1951 vor etwa 30.000 Zuschauern mit einem großen Sportfest eingeweiht. Gleichzeitig erfolgte die Umbenennung in Rudolf-Harbig-Stadion. Die stets hochkarätig besetzten Harbig-Gedenksportfeste blieben bis zu ihrer Abschaffung 1966 ein Publikumsmagnet.
Zum Jahresbeginn 1957 vollzog sich in Dresden ein Stadiontausch. Die infolge der „Delegierung“ der kompletten ´53er Meistermannschaft nach Berlin nur noch drittklassige SG Dynamo zog vom größeren Heinz-Steyer-Stadion im Ostragehege auf die Lennéstraße. Nach zwölf Fahrstuhl-Jahren in der neuen Spielstätte kam der Verein 1969 endgültig in der Oberliga an. Unter der Trainerlegende Walter Fritzsch begann der „Dynamo-Kreisel“ im Stadion zu wirbeln. In den folgenden 22 Jahren war Dresden 19 Mal in den internationalen Wettbewerben vertreten. Mit Cruyff, Beckenbauer und Keegan, um nur einige Namen zu nennen, gab sich die westliche Elite im Harbig-Rund die Ehre – und ging fast nie als Sieger vom Platz.
Die Heimbilanz der Dynamos im Europapokal ist von einem anderen Stern: in 49 Spielen gab es 35 Siege und elf Unentschieden. Nur zweimal gelang Gastmannschaften das Kunststück, in Dresden die Oberhand zu behalten: dem FC Liverpool (1973) und Standard Lüttich (1980). Von der erfreulichen Statistik ausgenommen bleibt das letzte Spiel auf europäischer Bühne. Nach heftigen Auseinandersetzungen in Belgrad kam es beim Rückspiel gegen Roter Stern am 20. März 1991 zu massiven Ausschreitungen im und um das Stadion. Fliegende Steine und Wasserwerfer auf der Laufbahn bildeten den unrühmlichen Abschluss einer großen Ära.
Die Flutlichtmasten wurden 1969 aufgestellt. 62 Meter hoch und 60 Tonnen schwer, waren die „Giraffen“ als „echtes Werk sozialistischer Gemeinschaftsarbeit“ weithin sichtbar und fortan das Markenzeichen des Stadions. Mit ihren 104 Lampen war die Leistung der Anlage in deutschen Stadien zum damaligen Zeitpunkt beispiellos. Weniger auffällig vollzog sich 1971 die „Umbenennung“ vom Harbig-Stadion zum Dynamo-Stadion. Wegen dessen Wehrmachtsangehörigkeit war Namenspatron Harbig den Funktionären ein Dorn im Auge, zumal die Lennéstraße und der nahe Straßburger Platz seinerzeit die Namen von Widerstandskämpfern erhielten.
1979 kam mit der 300.000 DDR-Mark teuren elektronischen Anzeigetafel über der Badkurve eine weitere technische Neuerung hinzu. 4.333 Glühlampen konnten auf sechs Zeilen insgesamt 120 Buchstaben und Ziffern aufleuchten lassen. Die Steuerung der 20-Watt-Birnen erfolgte anfangs über eine elektronische Schreibmaschine, bei der jeder Buchstabe direkt gesendet wurde – ein Tippfehler, und die ganze Zeile war ruiniert.
Nennenswerte Modernisierungen gab es in dem Stadion, welches seit 1990 wieder Rudolf-Harbig-Stadion hieß, dann bis zur Wende keine mehr. Immerhin wurden Anfang der 90er alle Bänke durch Schalensitze ersetzt, und auch der Rasen wurde – zum ersten Mal seit 1956 – erneuert.
Nach den Ausbesserungen, die Anfang der 1990er Jahre für die Zulassung zur Bundesliga notwendig wurden, war das Harbig-Stadion dem Verfall preisgegeben. Üble Gerüche in den Katakomben und eine aus Sicherheitsgründen immer geringere Zuschauerkapazität waren nur die augenfälligsten Hinweise auf die Dringlichkeit einer umfassenden Lösung. Die Olympiabewerbung Leipzigs für 2012, welche Dresden als möglichen Wettkampfort ins Spiel brachte, vor allem jedoch die Vergabe der Fußball-WM 2006 nach Deutschland befeuerten die Debatte um einen Neubau.
Nachdem die Standortfrage zugunsten der Lennéstraße geklärt war, standen die größten Fragezeichen über der Finanzierung und der Gestaltung des Neubaus. Nach emotionalen und verzwickten Verhandlungen kam im Mai 2007 die endgültige Zustimmung für den Baustart. Gegen Ende desselben Jahres fielen die erste Tribüne, der alte Sprecherturm und eine der vier Giraffen. Im August 2008 wurde die noch einzeln stehende neue Westtribüne bei einem Testspiel gegen den niederländischen Erstdivisionär Willem II Tilburg eingeweiht. 4.566 Zuschauer genossen nicht nur die atemberaubende Perspektive aufs Spielfeld, sondern auch einen weiten Rundumblick über die Stadt.
Die Fertigstellung bei laufendem Spielbetrieb ließ die Kulisse von Spiel zu Spiel anwachsen. Im September 2008 bekam das heranwachsende Schmuckkästchen den Zuschlag für die Frauen-WM 2011. Ein Jahr später war das Stadion bei der Einweihung gegen den FC Schalke 04 zum ersten Mal ausverkauft.
Bereits in den ersten Jahren nach der Eröffnung wurde die neue Spielstätte zu einer echten Heimfestung der Schwarz-Gelben. Emotionale Spiele, atemberaubende Stimmung auf den Rängen und unzählige grandiose Choreographien im K-Block machen bis heute einen Stadionbesuch zu einem wahren Erlebnis.