Verein
15. November 2013 // 19.40 Uhr

„Es ist angebracht, sich zu unterhalten.“

Themenwoche, Teil V von V | Sozialwissenschaftler und Fanforscher Gerd Dembowski zum Verhältnis zwischen Sportgemeinschaft Dynamo und DFB


Zum Abschluss der „Themenwoche“ vor der anstehenden Mitgliederversammlung geht es um das Verhältnis zwischen der Sportgemeinschaft Dynamo und dem DFB. Der Fußballverband sperrte die SGD aus dem Pokalwettbewerb aus, der Verein beschritt den sportgerichtlichen Rechtsweg und steht nun vor der Frage, wie es weitergeht. Von der Mitgliederversammlung am Samstag  erwartet sich Dynamo Dresden ein Stimmungsbild zum weiteren Vorgehen beim Thema „Pokalausschluss“.

{media-left}Wir sprachen zu diesem Thema mit dem Sozialwissenschaftler und Fanforscher Gerd Dembowski. An der Seitenlinie, auf dem Stehplatz, unter Fans und Funktionären – überall dort kennt der 41-Jährige sich aus. Der gebürtige Recklinghauser ist seit 20 Jahren mit dem Fußball und dessen Platz in der Gesellschaft vertraut. Aktiv war er im Duisburger Fanprojekt, dem „Bündnis Aktiver Fußballfans“ (BAFF) und „Football Against Racism in Europe“ (FARE). Heute arbeitet Dembowski in der Kompetenzgruppe „Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit“ (KoFaS) am Institut für Sportwissenschaft der Leibniz Universität Hannover. Im Interview sprachen wir mit ihm über schwarz-gelbes Gerechtigkeitsbewusstsein, die umstrittene Wirkung von Präventivstrafen und den „Dialog“ als Form der Konfliktlösung. Außerdem verriet er uns, was das Ende der Ultra-Kultur sein könnte.

Gerd Dembowski, sicherlich wurden Sie – als Kind oder als Erwachsener – auch einmal für etwas bestraft. Können Sie sich an einen Fall erinnern, wo sie eine Strafe als besonders ungerecht empfunden haben?

Strafen nicht. Eher kann ich mich an strukturelle Ungerechtigkeiten im Familienleben erinnern, die mich nicht nur als Kind, sondern noch lange sozial und psychisch einschränkten und auch hemmten. Diese in der Familie erlebten strukturellen Ungerechtigkeiten schränkten auch meinen objektiven Blick ein. Und das verursachte dann problematische Situationen, und aus einer bestimmten Hilflosigkeit wiederum Verlagerungen des familiären Konfliktes in andere soziale Felder. Es war ein langer Prozess, das zu reflektieren, damit ins Reine zu kommen. Und ich denke seitdem klappt es auch besser mit den Nachbarn. (lacht)

Wie sahen Unterschiede zwischen den Fankulturen in Ost und West nach dem Fall der Mauer aus?

Der Pokalausschluss beschäftigt die Mitglieder und Fans der SG Dynamo Dresden seit fast einem Jahr. Immer noch ist der Ruf nach Gerechtigkeit, verbunden mit einer weiterführenden juristischen Überprüfung der sportgerichtlichen Urteile, deutlich vernehmbar. Können Sie dieses Empfinden als Außenstehender nachvollziehen?

Betrachtet man dieses Begehren aus der Sicht des Fußballverbands und nimmt die historischen Grundzüge der Sportgerichtsbarkeit hinzu, wirkt der Gang vor ein ordentliches Gericht aus Sicht des Verbands ungewöhnlich. Wenn man Konfliktmanagement macht, muss man eine solche Position genauso akzeptieren, wie die Ansicht des Vereins und von Teilen der Fans, sich missverstanden zu fühlen. Eine zusätzliche Prüfung würde im besten Falle helfen, die Wirklichkeit weiter zu reflektieren. Schließlich sind die Wahrnehmungen auch verwischt worden durch die damals gleichzeitige Sicherheitshysterie. So wird das Bedürfnis nach einer Prüfung sicher auch dadurch gestärkt, dass bei einer Betrachtung von ähnlichen Fällen die Fragen aufkamen: Ist das ausgewogen betrachtet worden? Wurde hier mit dem gleichen Maß gemessen? Man erhofft sich eine neutrale Instanz mit einem klärenden Blick auf das Geschehen, um aus der Vogelperspektive eine Bewertung vorzunehmen. Das zeigt, dass der DFB in diesem speziellen Fall leider nicht vollends als solche akzeptiert wird. Ganz wichtig: Zu einer juristischen Überprüfung gehört aber auch, dass man im Falle einer möglichen Niederlage diese auch vollmundig anerkennt, konstruktiv in die Zukunft blickt und sich nicht trotzig einigelt. Hier könnte mal untersucht werden, wie organisierte Fans in den letzten Jahren überhaupt mit Strafen umgegangen sind und wie sie vielleicht auch innovativ darauf reagiert haben.

Für den anderen Weg, mit dem Fußballverband einen Dialog zu führen, fehlt den Fans vor allem eines: Vertrauen. Hat der DFB diesen Kredit durch seine Maßnahmen in der Vergangenheit verspielt?

Die Problematik nährt sich zum Teil sicher auch über ein historisches Verhältnis zwischen dem DFB und Dynamo Dresden. Im Dynamo-Umfeld empfinden viele scheinbar eine anlassbezogene Benachteiligung. Die wird an vergangene Momente angereiht. Der DFB seinerseits konnte in strukturellen Fragen die Situation der Wiedervereinigung nur unterschätzen – es gab vorher keine Vergleichswerte. Mir ist keine konkrete Inhaltsanalyse oder Studie bekannt, die damals bestimmte Fragen beantwortet hätte: Wie sahen Unterschiede zwischen den Fankulturen in Ost und West nach dem Fall der Mauer aus? Wie sollte man damit im Kontext des Zusammenschlusses der Ligen umgehen? Mit der Einheit wurde viel in einen Topf geworfen, weil das sportliche Kerngeschäft erst einmal Vorrang hatte. Das gilt auch für die Gewaltproblematik. Hier geht es also nicht allein um juristische Fragen.

Ich höre bei Dynamo von engagierten Leuten, die von innen heraus aus tiefer Überzeugung arbeiten.

In der Begründung zum Urteilsspruch des Schiedsgerichts wird dem Pokalausschluss ein präventiver Charakter zugesprochen. Kann eine solche Strafe überhaupt eine vorbeugende Wirkung entfalten?

Wenn man grundsätzlich von einer gefühlten Benachteiligung ausgeht, könnte die Strafe jenseits von erhofften Wirkungen auch eher dazu führen, dass sich eine Wahrnehmung von Benachteiligung verstärkt. In der Konsequenz entstünde daraus über einen längeren Zeitraum womöglich eine weitere Stufe auf dem Weg in eine symbolische Widerstandsidentität innerhalb des Vereins oder seines Umfelds: Man igelt sich eher mit der eigenen Sichtweise ein. Außerdem handelt es sich um eine Kollektivstrafe, die im Grunde kein demokratisches Mittel darstellt. In einer Demokratie sollte es darum gehen, Einzeltäter zu überführen und ihnen eine Schuld nachzuweisen. Es ist ein fragwürdiger Lösungsansatz, wenn erreicht werden soll, dass Fans sich gegenseitig verraten. Darüber hinaus gibt es kaum Erfahrungswerte, inwiefern Selbstregulierungsmechanismen kurz- oder langfristig durch Kollektivstrafen angeregt werden.

Ist die oft geforderte Selbstregulierung der Fankurve überhaupt möglich, ohne ganz neue Konfliktformen zu schaffen?

Das muss zweigeteilt betrachtet werden. Auf der einen Seite gibt es das anlassbezogene Einschreiten, wenn etwas passiert. Der andere Teil, der viel wichtiger ist und schon davor ansetzt, wäre die Überzeugungsarbeit über vereinseigene Gesprächsrunden. Dort werden gemeinsame Werte festgelegt und mit Leben gefüllt. Anlassbezogene Selbstregulierung braucht einen solchen kontinuierlichen, netzwerkbezogenen Unterbau. Mir wird von unterschiedlichen Seiten immer wieder berichtet, dass Dynamo in den letzten Jahren hier einiges geschafft hat. Eine solche Entwicklung könnte überprüft und parallel zu einer Bestrafung wertgeschätzt werden. Schade wäre es, wenn solche Errungenschaften durch eine als zu hart empfundene, kollektive Verurteilung des Vereins wieder geschwächt würden.

{media-left}Wie bewerten Sie die Entwicklung in Dresden, hinsichtlich der negativen Begleiterscheinungen und dem internen Umgang damit?

Ich höre bei Dynamo von engagierten Leuten im Verein, die von innen heraus aus tiefer Überzeugung arbeiten. Das ist von enormer Bedeutung und gleicht das aus, was andere Vereine mit finanziellen Mitteln leisten, wie das Beispiel der Anti-Diskriminierungsarbeit zeigt. Allein die Entwicklung und das Forum einer Faninitiative wie 1953international bestätigt, dass viel richtig gemacht wird. Wenn man Fans hat, die vom Verein bestärkt werden und sie mitnimmt, fördert das den gegenseitigen Austausch und ist als Fortschritt anzusehen. Dynamo Dresden versucht, den „move“ der Fans zu integrieren. Daneben könnte es jenseits der Anti-Diskriminierungsarbeit allerdings wichtig sein, dass Dynamo einen internen Fandialog hinsichtlich der jüngeren Abweichungen ausführlich öffentlich macht und mögliche gegenseitige Absichtserklärungen erläutert, insofern das nicht schon geschieht.

Man muss in den nächsten 100 Jahren miteinander und zusammen arbeiten.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, um das distanzierte Verhältnis zwischen Fans und Verband wieder freundlicher zu gestalten?

Wenn man einbezieht, was ich zu Beginn gesagt habe, dass mit der Wiedervereinigung zwei unterschiedlich entwickelte Fankulturen in einen Topf geworfen wurden, könnten der DFB und Dynamo gemeinsam mit den organisierten Fans diesen Fall als Chance begreifen und damit beginnen, sich der inhaltlichen Diskussion auch jenseits der aktuellen Situation zu stellen. Das heißt, man könnte in einen inhaltlichen Dialog treten. Das kann als Hin- und Rückspiel organisiert werden. Zuerst in Frankfurt, danach in Dresden. Das würde Dynamo und seinen organisierten Fans die Möglichkeit eröffnen, die gefühlte Benachteiligung zu schildern, vielleicht auch unter der Moderation eines Konfliktaufarbeiters als Eisbrecher. Ziel muss sein, sich zu der einen und zu der anderen Seite jeweils vernünftig zu verhalten und gegenseitiges Verständnis zu entwickeln.

Schweigen ist Silber, Reden ist Gold?

Ob es funktioniert, weiß man vorher nie. Wichtig ist, dass dieser einleitende Dialog gewollt wird. Natürlich sind bestimmte Dinge vorgefallen, die jede Seite für sich vielleicht nicht nachvollziehen kann. Letztendlich muss man aber in den nächsten 100 Jahren miteinander und zusammen arbeiten, das ist einfach so. Es wird keinen parallelen Fußballverband geben. Die einzige demokratische Möglichkeit ist, ganz niederschwellig mit Gesprächen zu beginnen. Wenn man am Anfang nicht direkt miteinander reden will, könnte man neutrale Vermittler einbeziehen. Ein Stichwort wäre Pendel-Diplomatie: Alle Seiten, die Fans eingeschlossen, könnten zunächst getrennt voneinander befragt werden. Danach wird beiden Seiten anonymisiert die Meinung der jeweils anderen Seite gespiegelt. Vielleicht entsteht daraus eine belastbarere Beziehung, die gedeihen kann.

Ist der von Ihnen beschriebene Weg ein bisher übersehener Kompromiss in der für Dynamo Dresden momentan so wichtigen Frage, ob weiter geklagt werden soll oder nicht?

Mein Standpunkt ist aus der Praxis entstanden. Es ist eine Idee, da Dynamo und der DFB ja irgendwie miteinander auskommen müssen. Da ist die Bereitschaft für Gespräche nötig. Das geht gar nicht anders. Ich halte das für eine Option, bevor die eine Seite weiter Strafen ausspricht und die andere dagegen klagt. Das hört sich schwierig an, aber an anderen Standorten habe ich gemerkt, dass es gar nicht so kompliziert sein muss, wenn neutrale Leute so etwas anleiten.

{media-right}Können Sie für diese Dialogform ein Beispiel nennen?

Wir als Kompetenzgruppe „Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit“ haben bei einem anderen Verein in einer etwas anderen Situation mit dieser Arbeit begonnen, nachdem es dort verschiedene einschneidende Vorfälle gab. Nach nur zwölf Monaten Arbeit haben sich die Rahmenbedingungen spürbar verbessert und es fiel kaum noch etwas vor. Da spielen zwar auch andere Einflüsse wie die Ligazugehörigkeit eine Rolle, und der erarbeitete Zustand ist stets zerbrechlich. Aber man hat sich gegenseitig deutlich gemacht, dass mehr Strafen, mehr Repressalien nicht das einzige Mittel sind, um Konflikte zu lösen. Das ist ein Prozess, den sich dieser Verein etwas kosten ließ. So etwas zu finanzieren, könnte allerdings auch Teil einer Bestrafung sein. Vielleicht könnten Verein und DFB gemeinsam die Möglichkeit schaffen, um ein ähnliches Modellprojekt durch Fördergelder oder mit Hilfe einer Drittmittelfinanzierung in Sachsen anzusiedeln. Aber bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Es geht hier nicht um Eigenwerbung – es gibt außer unserer wissenschaftlichen Begleitung viele professionelle Konfliktschlichter und Mediatoren.

Lassen Sie uns abschließend noch einen Blick nach vorn werfen: Wo steht die Fankultur in Zukunft?

Um das beurteilen zu können, wird es spannend sein, den Prozess zwischen Dynamo und dem DFB zu beobachten und die aktuelle Entwicklung abzuwarten. Das trifft auch auf den Fall Borussia Dortmund zu. Der Entzug von Auswärtsdauerkarten, wie jüngst beim BVB nach den Ausschreitungen im Revierderby, könnte sich aus Sicht von Vereinen als Maßnahme erweisen, wenn sie sehen würden, dass so etwas funktioniert. Es bleibt auch abzuwarten, wie zum Beispiel Hannover 96 auf das zurückliegende Niedersachsen-Derby reagiert. Fans auszuschließen wird ja immer mal wieder offen diskutiert. Das wäre natürlich das Ende der Ultra-Kultur, wie wir sie kennen. Ich glaube, dass Vereine das sogar tun könnten. Aus soziologischer Sicht würde sich eine jugendkulturorientierte Gewaltförmigkeit dann jedoch lediglich verlagern. Es wäre ungewiss, wie sich diese jugendkulturorientierten Gruppen dann außerhalb des Fußballs entwickeln. Im stadionbezogenen Feld haben alle beteiligten Institutionen, einschließlich der Polizei, der sozialpädagogischen Fanprojekte und auch der Wissenschaftler, eine jahrzehntelange Expertise. Dort können sie am meisten bewegen, wenn sie in Zukunft mit Beteiligung der Fans noch mehr in den Dialog treten und sich gegenseitig modernisieren.

Dies ist eine migrierte News einer früheren Website-Version der SG Dynamo Dresden. Wir bitten um Verständnis, dass es aus technischen Gründen möglicherweise zu Fehlern in der Darstellung kommen kann bzw. einzelne Links nicht funktionieren.


 

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