„Fußballfans tragen nicht mehr diskriminierende Denkweisen mit sich herum, als andere Menschen.“
Der Dynamo-KREISEL verabredete sich mit Kai von der antirassistischen Faninitiative 1953international im Stadion zum Interview. Wir sprachen mit ihm über die Entstehungsgeschichte der Gruppe, ihre Ziele und die manchmal schwierige Zusammenarbeit mit Dynamo Dresden. Wir fragten ihn, ob Rassismus beim Fußball häufiger vorkommt als anderswo und ob er dort vor allem ein Stehplatzproblem ist. Außerdem erzählte er uns etwas über die „Beleidigungskultur“ beim Fußball und die Bedeutung der Trikot-Aktion beim Heimspiel gegen Eintracht Braunschweig am Samstag.
Ihr habt euch im März 2006 nach dem Heimspiel gegen Sportfreunde Siegen gegründet. Waren die rassistischen Vorfälle bei diesem Spiel Ursache oder Anlass für die Gründung? Anders gefragt, kam in diesem Spiel eine neue rassistische Dimension zum Vorschein, oder war das Fass sprichwörtlich übergelaufen?
Rassismus hatte seinen Platz im Rudolf-Harbig-Stadion schon in den 1990er-Jahren, zu Bundesligazeiten. Aus unserer Sicht hat sich das Problem jedoch verschlimmert, je weiter nach unten es mit dem Verein ging. Als weniger Zuschauer kamen, wurden die Köpfe, von denen rassistische Sprüche und Gesänge kamen, schlicht und ergreifend sichtbarer. Von daher kann man in Bezug auf das Spiel gegen Siegen nicht von einer neuen Dimension sprechen. Es war nur ein Punkt erreicht, wo bestimmte Leute erkannt haben, dass man sich organisieren muss, um etwas dagegen zu unternehmen.
Im Forum der damaligen Dynamo-Homepage gab es nach dem Spiel eine hitzige Debatte über die Vorfälle. Wie haben sich die Teilnehmer dieser Diskussion schließlich vernetzt, oder kannten sich die meisten schon?
An der Vernetzung hatte das Fanprojekt Dresden einen großen Anteil, welches damals diejenigen, die im Forum Stellung bezogen haben, angeschrieben hat. Die Initiative hat sich dann aber schnell verselbständigt und war insofern auch kein Kind des Fanprojekts. Bei den ersten Treffen zeigte sich dann, dass man den einen oder anderen schon kannte. Manche begegneten sich aber auch zum ersten Mal.
Wie viele Leute wart ihr am Anfang, wie viele seid ihr heute? Kommen die Mitglieder der Gruppe aus ähnlichen sozialen Kontexten, oder seid ihr eine heterogene Gruppe?
Die Gruppe war am Anfang sehr homogen. Nicht unbedingt, was die Berufsfelder angeht. Aber es waren alles männliche Personen ähnlichen Alters. Das hat sich inzwischen geändert. Und es sind im Laufe der Zeit ein paar Leute dazu gekommen. Heute zählt die Gruppe im Kern etwa 15 Personen. Aber es gibt mittlerweile ein gewachsenes Umfeld, das uns bei unseren Aktionen unterstützt.
War von Anfang an klar, dass ihr Dynamo selbst in eure Aktivitäten mit einbeziehen wolltet?
Uns war zumindest von Beginn an wichtig, die bestehenden Probleme zusammen mit dem Verein zu thematisieren. Andererseits wollten wir immer auch die Fans mit einbeziehen, weil diese letztlich der Verein sind. Zu Beginn war unser Anliegen, überhaupt erst mal ein Bewusstsein für das Problem Diskriminierung zu schaffen. Viele haben das entweder ausgeblendet, es gar nicht als Problem wahrgenommen oder es sogar verharmlost. Dass sich das Bewusstsein beim Verein in der Zwischenzeit eingestellt hat, hängt auch mit bestimmten Personen aus dem Verein zusammen, die das Problem erkannt haben und bereit waren, intensiver mit uns zusammenzuarbeiten.
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Ist Rassismus für euch eine Metapher für Diskriminierung im Allgemeinen? War es von Anfang an Konsens bei euch, dass ihr euch gegen alle Spielarten von Diskriminierung einsetzen wollt?
Die erste Frage, ja, Die zweite, nein. Da fand und findet in der Gruppe durchaus eine Auseinandersetzung statt. Konsens war von Anfang an, dass wir uns gegen Rassismus und Antisemitismus wenden. Hingegen der Umgang mit der Sexismusthematik bei uns durchaus umstritten und wir haben auch keinen umfassenden Konsens, wie wir uns dazu positionieren. Rassismus ist für uns in jedem Fall der Türöffner, um auch für andere Formen der Diskriminierung zu sensibilisieren.
Stichwort „Beleidigungskultur“ – wo seht ihr Grenzen? Wenn einer ruft, „Du Blinder!“, ist das ja prinzipiell auch eine Form der Diskriminierung, namentlich der von Behinderten. Was ist noch zulässig, wogegen muss man eintreten?
Uns geht es definitiv nicht um political correctness. In dem Wort „Beleidigungskultur“, welches wir auch auf unserer Website thematisieren, steckt ja schon drin, dass Beleidigungen als besondere Form der Expressivität zum Fußball einfach dazugehören. Wollte man das verbieten, bräuchte man nicht mehr zum Fußball zu gehen, dann wäre er tot. Man kann die Frage sehr kurz beantworten: Es ist nicht unsere Aufgabe und unser Ziel, festzulegen, was in Ordnung ist und was nicht. Wir wollen lediglich immer dafür sorgen, dass darüber eine Kontroverse im Gange ist und Diskriminierung eben nicht tabuisiert wird. Im Endeffekt hat auch jeder seine eigene Schmerzgrenze, wann er sich umdreht und dem anderen rüberbringt, dass er die Klappe halten soll.
Würdet ihr sagen, dass Rassismus unter den Formen der Diskriminierung die gefährlichste ist?
Wir halten nicht viel davon, die verschiedenen Formen von herabsetzendem, entwürdigendem und aggressivem Verhalten in eine Rangfolge zu bringen. Aber Rassismus ist sicher eine der Diskriminierungsarten, die häufiger zu gewaltsamen Übergriffen führen. Es kann einer dutzendfach sexistische Sprüche klopfen – er wird deswegen – pauschal gesagt – keine Frau schlagen. Aber wenn die Leute, von denen die Affenlaute kommen, einem Schwarzen begegnen, ist das schon um einiges brenzliger.
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Kommen Rassismus und Diskriminierung als Verhaltensweisen im Umfeld des Fußballs häufiger vor als in anderen gesellschaftlichen Bereichen? Sind sie in dem Sinne im Fußball überrepräsentiert?
Es gibt belastbare Untersuchungen, die aufzeigen, dass dem nicht so ist. Der durchschnittliche Fußballfan trägt nicht mehr diskriminierende Denkweisen mit sich herum, als andere Menschen. Nur brechen sich diese Denkweisen beim Fußball eher Bahn nach außen als im ganz normalen Alltag, was wiederum an dem insgesamt mehr enthemmten Umfeld und den Gruppendynamiken liegt. Günter Wallraff (Journalist; Anm. der Red.) bezeichnet das als „das rückständige Wesen des Fußballs“. Er zielt ganz richtig darauf ab, dass beim Fußball so etwas wie In-Groups und Out-Groups oder Mehrheiten und Minderheiten – wie zum Beispiel die Gästefans – entstehen. Das ist zwar richtig, trifft aber genauso auf viele andere Sportarten auch zu und ist deshalb kein spezielles Problem des Fußballs.
Sind Diskriminierung im Allgemeinen und Rassismus im Besonderen eher Stehplatzprobleme?
Nein, überhaupt nicht. Das ist eine ziemlich ambivalente Angelegenheit. Auf der einen Seite kommen die Sitzplätze diskriminierenden Parolen entgegen, weil man sich als Gruppe dort viel besser separieren kann, als das auf den Stehplätzen der Fall ist. Wenn im Stehblock einer einen rassistischen Spruch raushaut, dann befindet er sich innerhalb einer sehr engen Menschenmenge, die näher an ihm dran ist und ihn deshalb auch eher Widerspruch erfahren lässt. Insofern kann die Hemmschwelle auf den Stehplätzen durchaus größer sein, weil die Chance, dass andere Kontra geben, viel höher liegt. Auf der anderen Seite gibt es auf den Stehplätzen eher so etwas wie die schon angesprochene Gruppendynamik, die manche dazu bringt, beispielsweise Affenlaute mitzumachen. Die Einstellungen sind auf den Sitzplätzen genauso vorhanden wie auf den Stehplätzen. Nur werden sie auf den Stehplätzen häufiger verbalisiert. Man muss aber auch sagen, dass es in Dresden nicht das klassische Stehplatzpublikum gibt. Viele, die früher gestanden haben, sind in die Sitzplätze gewechselt, viele wechseln auch während der Saison hin und her, oder im Laufe ihrer Fankarriere. Da gibt es keine getrennte Sozialisation.
2008 war für euch wie auch für die anderen Faninitiativen ein schwieriges Jahr im Hinblick auf die Kommunikation mit dem Verein. Wie habt ihr das damals erlebt? Gab es Gedanken, aufzuhören?
Aufhören war für uns kein Thema. Wie schon gesagt sind wir ja kein Projekt des Vereins oder des Fanprojekts. Wir positionieren uns mit unserem Anliegen, unabhängig davon, wie sich der Verein zu uns positioniert. Sicher war es ein schwieriges Jahr. Aber wir waren da zäh genug, um trotzdem immer wieder Wege zu finden, auf unser Anliegen im Stadion aufmerksam zu machen. Aber das trifft auch auf die anderen Fangruppen zu, denen der Verein in dieser Zeit auch wenig aufgeschlossen gegenüber stand, und die trotzdem ihr Ding gemacht haben. Im Rückblick war die Ära von Bernd Maas für uns auch eine lehrreiche Zeit. Wir sind im Nachgang eher noch vehementer geworden mit unseren Vorstellungen von einer Fankurve, in der Rassismus keinen Platz haben soll.
Waren die Position des Vereins und seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit euch demnach eng mit bestimmten Personen verknüpft?
Diese Frage lässt sich ziemlich eindeutig bejahen. Mit Sicherheit hat beispielsweise Bernd Maas damals sein eigenes Ding gemacht. Sichtbar wurde das unter anderem beim Thema Stadionordnung. Wir hatten sehr lange darüber nachgedacht, wie sich die Stadionordnung verändern lässt, um gerade die Rassismusproblematik besser in den Griff zu bekommen. Da geht es ja unter anderem um die bekannten Kleidungsmarken mit den rechten Symboliken. Wir haben das auch mit dem Fanprojekt diskutiert und deren Expertise eingeholt. Und dann kam Bernd Maas und hat das alles von jetzt auf gleich eigenmächtig verändert. An solchen Dingen wie der Trikot-Aktion im Heimspiel gegen Rostock (Saisoneröffnung 2011/12; Anm. d. Red.) konnte man später sehr deutlich sehen, dass wir einen sehr großen Sprung gemacht haben. Das hing damit zusammen, dass andere Personen Verantwortung im Verein übernommen haben, durch die wir ernst genommen wurden und die mit uns kommuniziert haben. Wenn man vor der Ära Oppitz/Bach (Dr. Volker Oppitz, Dynamo-Geschäftsführer Juni 2010-Februar 2012; Enrico Bach, Dynamo-Pressesprecher seit 2012; Anm. d. Red.) eine Email an den Verein geschrieben hat, bekam man nicht einmal eine Antwort. Da hat sich mittlerweile vieles zum Positiven verändert.
Wie ist euer Standing in der Fanszene?
Für uns spielt das Standing nicht dieselbe Rolle, wie für andere Fangruppen. Wir sind auch keine Fangruppe im eigentlichen Sinne und stehen deshalb auch nicht in Konkurrenz wenn es etwa darum geht, wer seine Zaunfahne wo hin hängt oder die Stimmung macht. Was die Anerkennung unseres Anliegens anbetrifft, geht es uns nicht darum, dass alle damit einverstanden sind. Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass alle unserer Meinung sind. Worum es uns geht ist vielmehr, immer wieder Kontroversen anzustoßen und die Diskriminierungsproblematik präsent zu halten. Es ist auch nicht unser Ziel, zu definieren, was diskriminierend ist und was nicht. Wir wollen lediglich darauf aufmerksam machen, dass diskriminierendes Verhalten existiert, und die Diskussion darüber am Leben erhalten und uns daran beteiligen.
Seid ihr regional oder darüber hinaus mit anderen Faninitiativen vernetzt, die sich desselben Themas angenommen haben?
Wir vernetzen uns in erster Linie lokal. Das heißt, wir schauen schon über den Tellerrand und beobachten, was Gruppen anderer Vereine machen. Aber Vernetzung mit denen findet kaum statt. Wir haben mit Dynamo ein eigenes Umfeld – mit all seinen Besonderheiten –, in dem wir aktiv sind. Es gibt keine Blaupause für die Arbeit gegen Diskriminierung. Deren Erscheinungsformen sind in Dresden genauso speziell wie andernorts, und man muss ihnen von daher auch mit eigenen Mitteln begegnen. Da nützt es relativ wenig, die Arbeit beispielsweise von St. Pauli zu kopieren. Von daher ist es aus unserer Sicht sinnvoller, lokale Netzwerke mit Personen, Vereinen und Initiativen zu pflegen, die uns in unserer Arbeit direkt unterstützen können bzw. dieselben Ziele verfolgen.
Mit der Mondiali Antirazzisti findet in Italien einmal im Jahr ein Treffen antirassistischer Faninitiativen aus der ganzen Welt statt. Inwiefern tauscht man sich dort aus?
Die Mondiali ist immer wieder ein wunderbares Ereignis, von dem man auch die eine oder andere Anregung mitnehmen kann. Die Mondiali ist der Ort, wo wir mit anderen Faninitiativen zusammenkommen. Sie findet aber für uns nicht primär unter dem Gesichtspunkt des inhaltlichen Austausches statt. Selbstverständlich kommuniziert man miteinander und erfährt viel über die Situation in anderen Fanszenen. Für uns bedeutet dieses große Zusammenkommen jedoch immer auch eine Menge Spaß und ganz simpel ein Stück Anerkennung für die eigene Arbeit.
Welche Bedeutung hatte für euch die erste Trikot-Aktion im Heimspiel gegen Rostock 2011, als Dynamo mit eurem Slogan „Love Dynamo – Hate Racism“ auf der Brust aufgelaufen ist?
Wir waren über die Aktion sehr glücklich. Es war auf jeden Fall ein großes Ziel für uns, unseren Slogan einmal auf dem Trikot der ersten Mannschaft zu platzieren, einfach, weil unserem Anliegen dadurch eine sehr große Aufmerksamkeit zuteil wurde. Die Initiative kam damals auch sehr stark vonseiten des Vereins, gar nicht so sehr von uns. Natürlich stieß es uns wie vielen anderen ein bisschen sauer auf, dass Dynamo nicht in schwarz-gelb spielte. Die Begründung von Dr. Volker Oppitz, der der Aktion mit dem Auflaufen in schwarz-weißer Spielkleidung noch mehr Nachdruck verleihen wollte, war zwar sehr gut nachvollziehbar. Wir hatten uns dennoch anders positioniert. Das ist deshalb wichtig, weil an dieser Stelle nicht verschwiegen werden darf, dass uns der Verein und speziell Volker Oppitz nachher die Gelegenheit zur Aussprache gegeben haben. Insofern war die Sache für uns dann auch wieder okay.
Welche Erwartungen knüpft ihr an eine solche Aktion wie beim Spiel gegen Eintracht Braunschweig am heutigen Samstag, wo Dynamo erneut mit eurem Slogan aufläuft?
So eine Aktion bringt natürlich erst einmal Öffentlichkeit. Uns wurde häufiger gesagt, dass unsere Aktionen plakativ seien und nicht das Kernproblem von menschenfeindlichen Einstellungen bearbeiten würden. Das ist aber unzutreffend. Der Großteil unserer Arbeit findet nicht-öffentlich statt. Aber um die so wichtige öffentliche Diskussion immer wieder anzustoßen, braucht es einfach auch plakative Aktionen, welche dann von einem Teil der Anhänger als störend empfunden werden. Unser Anliegen kann glücklicherweise auch von diesem Störer-Image profitieren, weil dadurch Kontroversen angestoßen werden. Somit trägt auch die Unzufriedenheit mit unseren Aktionen zur Enttabuisierung der Diskriminierungsproblematik bei.
Wie lautet euer Resümee? Was hat sich in den letzten Jahren verändert?
Fakt ist, dass alles, was wir an Sensibilisierung erreicht haben, kein Selbstläufer ist. Da gilt es, kontinuierlich weiter zu arbeiten und vor allem auch die jungen Fans zu erreichen. Hier kann uns das Fanprojekt sehr gut unterstützen, weil es den besten Draht zu den jungen Leuten hat.
Wie kann man euch unterstützen?
Zum einen, indem man aktiv im Stadion gegen Diskriminierung eintritt und Kontroversen anstößt. Wer uns darüber hinaus unterstützen will, kann über unsere Homepage, Facebook und andere soziale Netzwerke mit uns Kontakt aufnehmen. Abgesehen davon freuen wir uns über jeden Fan, der Gesicht zeigt und die Initiative sichtbar auf der Kleidung trägt. In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass der Erlös aus dem Verkauf unserer T-Shirts immer komplett in unsere nächste Aktion wandert.
Kai, vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Jan Franke
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