Als am letzten Spieltag der Saison mit dem 1:0-Auswärtssieg in Wiesbaden bei der SG Dynamo Dresden die Drittliga-Meisterschaft gefeiert werden konnte, fehlte einer ganz besonders bei der offiziellen Ehrung auf dem Rasen: Tim Knipping.Am Abend vor dem Spiel hatte der 28-jährige Leistungsträger im Teamhotel telefonisch von seiner Mutter Birgit die traurige Nachricht vom Tod seines Stiefvaters Michael erreicht, der nach wochenlangem Kampf an den Folgen einer Corona-Erkrankung gestorben war.
In einem emotionalen Interview spricht der Verteidiger nun über diesen persönlichen Schicksalsschlag, den großen Verlust eines geliebten Menschen und darüber, was ihm in diesen schweren Stunden Kraft gibt.
Tim, du hast beim letzten Saisonspiel in Wiesbaden aus familiären Gründen gefehlt. Was ist passiert?
Ich hatte es zuvor ja bereits schon einmal angedeutet, dass wir einen Corona-Fall in der Familie hatten. Jetzt kann ich offen darüber sprechen, dass es meinen Stiefvater betroffen hatte, mit dem ich sehr eng verbunden bin. Am Freitagabend habe ich dann aus dem Teamhotel in Wiesbaden versucht, wie jeden Tag meine Mutter Birgit anzurufen, die allerdings erst einmal nicht ans Telefon gegangen ist. Ab diesem Zeitpunkt habe ich mir dann schon Gedanken gemacht. Als sie dann irgendwann zurückgerufen hat, hat sie mir leider mitteilen müssen, dass mein Stiefvater von uns gegangen ist. Kristian Walter (Kaderplaner, Chefscout und Assistent von Sportgeschäftsführer Ralf Becker, Anm.d.R.) hat mich daraufhin umgehend nach Hause nach Kassel zu meiner Familie gefahren, weil ich in dieser schweren Stunde des Abschiednehmens natürlich bei meiner Mutter sein wollte.
{media-left}Unser herzlichstes Beileid, Tim. Du hattest auch schon nach dem Heimspiel gegen Viktoria Köln auf dem Platz geweint, was zeigt, welche emotionale Bindung du zu deinem Stiefpapa hattest …
Er hatte einen unglaublich großen Stellenwert in meinem Leben. Familie bedeutet für mich alles, denn sie ist zusammen mit meinen Freunden mein Leben. Deshalb bin ich immer sehr emotional, wenn irgendetwas in der Familie ist. Mein Stiefvater ist zu meinem zweiten Vater geworden. Seit ich auf das Gymnasium gegangen bin, war er mit meiner Mutter zusammen. Wir haben viel Zeit zusammen verbracht, waren zusammen im Urlaub und haben viel erlebt. Und er war auch sehr oft im Stadion bei Spielen von mir. Von daher ist die Beziehung sehr intensiv gewesen und er hat mir als Mensch unglaublich viel bedeutet. Deshalb ist die jetzige Situation einfach nur brutal.
Du warst in dieser Spielzeit einer der Leistungsträger, wenn nicht sogar der Mann der Saison, weil du unheimlich konstant abgeliefert hast. Du hast sicher auch deinen Stiefvater sehr stolz gemacht …
Ja, das glaube ich auch. Ich weiß noch, dass er sich zu seinem Geburtstag im April gewünscht hat, dass wir gegen Hansa Rostock gewinnen. Das haben wir zwar leider nicht geschafft, aber viel wichtiger war, dass wir aufsteigen. Das war ein großer Wunsch von ihm und deshalb war der Sieg gegen Viktoria so emotional für mich. Mir tut es sehr weh, dass er das jetzt nicht mehr miterleben kann, auch wie die Jungs am Samstag die Meisterschaft klargemacht haben.
Du hast den Jungs vor dem Spiel noch eine Nachricht geschickt. Ihr habt einen unglaublichen Teamgeist, was nicht zuletzt auch beim Torjubel in Wiesbaden klar wurde, als dein Trikot hochgehalten wurde. Können dir deine Teamkollegen bei der Verarbeitung dieses riesigen Verlustes helfen?
Definitiv. Ich habe Basti (Sebastian Mai, Anm. d. Red.) vor dem Spiel eine Nachricht geschickt und darum gebeten, dass er diese vor dem Spiel der gesamten Mannschaft in der Kabine vorliest.
{media-right}Was hast du deinen Spielern geschrieben?
Ich habe in meiner Nachricht zum Ausdruck gebracht, dass ich stolz auf die Jungs und auf das bin, was bislang erreicht wurde und dass ich mir wünsche, dass sie sich, beziehungsweise wir uns, für diese Saison belohnen. Für alles, was wir durchgemacht und dabei doch jeden Rückschlag gemeistert haben. Ich habe außerdem geschrieben, dass ich zu Hause zusammen mit meiner Mama mitfiebere und die Daumen drücke.
All das spricht für einen großartigen Teamgeist …
Der Zusammenhalt ist schon einzigartig bei uns. Das habe ich in meiner bisherigen Karriere noch nie so erlebt. Das Team ist zu meiner zweiten Familie geworden. Sie unterstützen mich enorm und ich bin sehr dankbar, dass ich so eine tolle Mannschaft habe. Das gibt zumindest Kraft und Mut für die kommende, schwierige Zeit.
Euren Zusammenhalt konnte man nach dem 1:0, aber gerade auch bei der Meisterehrung sehen, wo dein Trikot ebenfalls eine zentrale Rolle gespielt hat. Wie sehr hast du dich über diese Geste gefreut?
Mir sind die Tränen gekommen, als ich das hier zusammen mit meiner Mutter gesehen habe. Das war einer der emotionalsten Momente für mich, weil ich auch daran wieder einmal gesehen habe, wie die Mannschaft tickt. Das ist nicht selbstverständlich und war für mich eine große Ehre. Auch wenn ich nicht anwesend sein konnte, haben mir die Jungs damit gezeigt, dass ich dabei war. Das ist bezeichnend für das ganze Jahr und den Zusammenhalt dieser Truppe. Danke für diese Geste an die Jungs!
{media-left}Was bedeutet dir die Drittliga-Meisterschaft?
Das ist das schönste Erlebnis und der größte Erfolg, den ich bisher in meiner Karriere erreicht habe. Aufzusteigen war schon immer ein Traum und das mit Dynamo Dresden zu erreichen, ist etwas ganz Besonderes. Schade, dass wir das mit den Fans nicht so teilen konnten, wie wir uns das alle erhofft und gewünscht haben. Was halt einfach wehtut ist, dass ich das persönlich aktuell natürlich nicht so genießen kann. Nichtsdestotrotz ist das sportlich für mich das schönste und größte Erlebnis, dass ich mit einer Mannschaft erreicht habe.
Wie wirst du jetzt die drei Wochen bis zum Trainingsstart verbringen?
Es war natürlich eigentlich alles anders geplant. Ursprünglich wollte ich in der Zeit abschalten und auch mal in den Urlaub gehen, weil das Jahr sehr kräfteraubend war und man aufgrund der Corona-Pandemie nichts groß machen konnte. Wir haben uns auch im privaten Bereich sehr zurückgehalten, weil man sich nicht anstecken wollte. Die Winterpause war noch dazu extrem kurz, was ebenfalls Kraft gekostet hat. Dementsprechend hat man sich auf die bevorstehenden drei Wochen gefreut, um da dann ein bisschen abschalten zu können. Aber jetzt werde ich die komplette Zeit selbstverständlich bei meiner Mutter sein, um sie zu unterstützen. Ich werde ihr nicht von der Seite weichen, für sie da sein und hoffe, dass wir die Zeit gemeinsam irgendwie durchstehen.
Was sagt der Tod uns über das Leben? Hast du da schon eine Antwort drauf?
Ich glaube jeder weiß, dass der Tod zum Leben dazugehört. Aber wenn es dann dazu kommt, will man es nicht wahrhaben, weil das Loslassen eines geliebten Menschen so verdammt schmerzhaft ist. Wenn man so trauert, sieht man auch, was dieser Mensch den Personen, die zurückbleiben, bedeutet oder bedeutet hat. Er ist ein ganz besonderer Mensch, den ich immer in meinem Herzen tragen werde. Ich will in den nächsten Jahren jetzt umso mehr erreichen, vor allem auch mit Dynamo, um ihn damit zu würdigen und stolz zu machen. Ich hoffe, dass er das von oben auf einer Wolke im Himmel beobachten kann.
Vielen Dank für deine Offenheit in dieser schwierigen Zeit, Tim. Wir wünschen dir und deiner gesamten Familie viel Kraft dabei, diesen großen Verlust zu verarbeiten.
Interview: Henry Buschmann & Marcel Devantier
Dies ist eine migrierte News einer früheren Website-Version der SG Dynamo Dresden. Wir bitten um Verständnis, dass es aus technischen Gründen möglicherweise zu Fehlern in der Darstellung kommen kann bzw. einzelne Links nicht funktionieren.